Ärztegesetz novelliert: Beistandspflicht für Sterbende

19. März 2019

Mit 19.3.2019 trat die neue Bestimmung im Ärztegesetz in Kraft. Demnach wurde einerseits im Berufsbild des Arztes die Schmerztherapie und Palliativmedizin verankert und zum anderen eine Beistandspflicht für Sterbende festgelegt. Diese Pflicht ist wie folgt ausformuliert:

§ 49a ÄrzteG:
(1) Die Ärztin/Der Arzt hat Sterbenden, die von ihr/ihm in Behandlung übernommen wurden, unter Wahrung ihrer Würde beizustehen.
(2) Im Sinne des Abs. 1 ist es bei Sterbenden insbesondere auch zulässig, im Rahmen palliativmedizinischer Indikationen Maßnahmen zu setzen, deren Nutzen zur Linderung schwerster Schmerzen und Qualen im Verhältnis zum Risiko einer Beschleunigung des Verlusts vitaler Lebensfunktionen überwiegt.

Hintergrund und Anlassfall

Und warum kam es zu dieser Neuregelung? Ein Blick in die parlamentarischen Materialien bringt Klarheit:

Der demografischen Wandel gibt seit einiger Zeit vermehrt Anlass zu Überlegungen zum Thema Lebensende und den damit verbundenen Fragen der Würde des Menschen und entsprechenden Entwicklungen in der Medizin. Der Bedarf an qualitätsgesicherter Palliativmedizin zeigt sich an der Aufnahme der Palliativmedizin als Spezialisierung in die Spezialisierungsverordnung 2017 (SpezV 2017) der Österreichischen Ärztekammer. Auch das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG), BGBl. I Nr. 108/1997, sieht seit der GuKG-Novelle 2016, BGBl. I Nr. 120, für den gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege eine Spezialisierung „Hospiz- und Palliativversorgung” vor.

Dass hier ein ethischer Grenzbereich und große Unsicherheit bei Ärztinnen/Ärzten, die auch zum Nachteil der Patientinnen/Patienten gereichen kann, gegeben ist, hat sich zuletzt im Fall eines Arztes in Salzburg gezeigt. Dem Arzt wurde zur Last gelegt, einer 79-jährigen Patientin so viel Morphin verabreicht zu haben, dass sie daran starb. Wenngleich nach dem zunächst erhobenen Mordvorwurf schlussendlich auch ein Freispruch vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung erfolgte, blieben gerade auf dem Gebiet der Palliativmedizin Unbehagen und große Verunsicherung zurück.

Klarheit besteht dann, wenn in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts die Patientin/der Patient eine oder auch mehrere medizinische Maßnahmen ablehnt. Neben dem strafrechtlichen Verbot der „eigenmächtigen Heilbehandlung” (siehe § 110 StGB und überdies auch § 8 Abs. 3 KAKuG) ist in diesem Zusammenhang auch auf Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und dem damit garantierten Recht jedes Menschen auf Selbstbestimmung zu verweisen, sodass Verletzungen des Körpers, die nicht vom Willen der/des Betroffenen getragen sind, sich als Verstoß gegen die genannte Grundrechtsnorm erweisen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) wird die von Art. 8 EMRK geschützte physische Integrität durch Eingriffe in den Körper ohne Rücksicht darauf berührt, ob es sich um therapeutische oder diagnostische, invasive oder nicht invasive Eingriffe handelt. Dies ist kein Widerspruch zu Art. 2 EMRK und dem dort statuierten Recht auf Leben, da aus diesem eine grundrechtliche Lebenspflicht nicht abzuleiten ist. Ebenso sollten Klarheit und damit Rechtssicherheit auch beim Vorliegen einer Patientenverfügung, durch die noch im Zustand von Willensbildungs- und Handlungsfähigkeit die Patientin/der Patient für den Fall des Verlusts dieser Fähigkeiten einen derart ablehnenden Willen zum Ausdruck gebracht hat, bestehen (siehe Patientenverfügungsgesetz, BGBl. I Nr. 55/2006). Gleiches gilt bei entsprechenden Erklärungen der Patientin/des Patienten in einer Vorsorgevollmacht (§ 240ff ABGB) oder einer Dokumentation im Rahmen eines sogenannten Vorsorgedialogs (§ 239 ABGB). Mangels Vorliegen jeglicher Äußerung der Patientin/des Patienten, auch bei Fehlen einer für medizinische Entscheidungen bestellten Erwachsenenvertretung, ist schließlich der mutmaßliche Wille der Patientin/des Patienten zu ermitteln.

Diese Regelungen erfassen jedoch – wenn überhaupt – nur einen Teil des gestellten Themas, zielen sie doch auf einen von der Patientin/vom Patienten ausdrücklich bzw. nach dem ermittelten (auch mutmaßlichen) Willen gewünschten Therapierückzug ab (Ablehnung einer Behandlung), wobei freilich die Entscheidung für palliative Maßnahmen kurative Maßnahmen nicht ausschließt. Willensbildungs- und Handlungsfähigkeit der Patientin/des Patienten vorausgesetzt, ist mit deren/dessen Einwilligung in Maßnahmen der Palliativmedizin als Alternative zur bisherigen Behandlung oder zu dieser hinzutretend auch die gebotene Rechtssicherheit für die Behandlerinnen/Behandler gegeben.

Nicht angesprochen sind mit diesem Regime hingegen jene Fallgruppen, in denen eine Entscheidungsfähigkeit der Patientin/des Patienten nicht mehr gegeben ist, auch ein (mutmaßlicher) Wille sich nicht ermitteln lässt und bei einer Therapiezieländerung eine Lebensverkürzung nicht auszuschließen ist. Dem soll nun auf dem Boden des einschlägigen Strafrechts und der berufsrechtlichen Vorgaben für Ärztinnen/Ärzte weiter nachgegangen werden.

Aktive Sterbehilfe ist in Österreich jedenfalls strafbar und fällt entweder unter den Tatbestand des Mordes (§ 75 StGB), der Tötung auf Verlangen (§ 77 StGB) oder der Mitwirkung am Selbstmord (§ 78 StGB). Im Hinblick auf den bereits erwähnten Tatbestand der eigenmächtigen Heilbehandlung kommen die §§ 75, 77 und 78 StGB bei einem Therapieabbruch bzw. Therapierückzug hingegen nicht zum Tragen, wenn das Absetzen von Behandlungsmaßnahmen dem Willen der Patientin/des Patienten entspricht, mit anderen Worten ihre Fortsetzung als eigenmächtige Heilbehandlung zu werten wäre. Auch ist die einverständliche Unterlassung von Maßnahmen, die den Sterbevorgang erschweren, zulässig, wenn dabei nicht in erster Linie eine Verkürzung des Lebens bezweckt, sondern diese lediglich als Nebenwirkung zum primär verfolgten Zweck einer Leidensmilderung in Kauf genommen wird. Für das gebotene Vorgehen bei den zuletzt angesprochenen Fallgruppen eines nicht vorliegenden bzw. auch nicht ermittelbaren Willens der Patientin/des Patienten bietet es sich an, auf das ärztliche Berufsrecht zu greifen.

Es sollte Konsens zwischen Medizin und Rechtswissenschaft bestehen, dass Maßnahmen, die allein den Sterbeprozess verlängern, weder den Vorgaben einer gewissenhaften Betreuung noch der Wahrung des Wohls der Patientin/des Patienten entsprechen. So hat zum Beispiel auch Kopetzki schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass eine Behandlung dann nicht begonnen oder fortgesetzt werden muss, wenn sie aus medizinischer Sicht nicht indiziert oder – was auf dasselbe hinausläuft – mangels Wirksamkeit nicht mehr erfolgversprechend oder sogar aussichtslos ist. Dazu zählen gerade auch Konstellationen eines bereits unaufhaltsam eingetretenen Sterbeprozesses, der durch weitere medizinische Interventionen nur in die Länge gezogen werden würde (Kopetzki, Einleitung und Abbruch der medizinischen Behandlung beim einwilligungsunfähigen Patienten, iFamZ 2007, 197 (201), mit weiteren Nachweisen).

Ganz in diesem Sinne stellt auch die österreichische Bioethikkommission in ihren Empfehlungen zum Sterben in Würde fest, dass medizinische Interventionen, die keinen Nutzen für die Patientin/den Patienten erbringen oder deren Belastung für die Patientin/den Patienten größer ist als ein eventueller Nutzen und die am Lebensende zu einer Verlängerung des Sterbeprozesses führen können, im Hinblick auf die Unverhältnismäßigkeit weder aus ethischer noch aus medizinischer Sicht zu rechtfertigen sind. Bei einem möglichen hypothetischen, zukünftigen Nutzen wird das Kriterium der Verhältnismäßigkeit anzuwenden sein, das heißt, es ist die aktuelle Belastung gegen den hypothetischen, wahrscheinlich zukünftigen Nutzen abzuwägen. Diese Abwägung ist Aufgabe der Ärztin/des Arztes (Stellungnahme der Bioethikkommission, 9.2.2015, Sterben in Würde, Empfehlungen zur Begleitung und Betreuung von Menschen am Lebensende und damit verbundene Fragestellungen, S 30).

Nach den vorstehenden Ausführungen könnte der Schluss zu ziehen sein, dass Grundrechte, Strafrecht und ärztliches Berufsrecht ohnehin eine eindeutige Antwort geben und für eine ausreichende Rechtssicherheit bei ärztlichen Entscheidungen am Lebensende einer Patientin/eines Patienten sorgen. Vor dem Hintergrund des eingangs geschilderten Strafverfahrens und der daraus resultierenden Verunsicherung palliativmedizinisch tätiger Ärztinnen/Ärzte stellt sich freilich doch die Frage nach einem allfälligen Handlungsbedarf des Gesetzgebers dahin, nicht erst durch juristische Interpretation, sondern bereits durch den Wortlaut des Gesetzes selbst für Klarheit zu sorgen. Dies insbesondere dann, wenn sich Patientinnen/Patienten in einem nicht mehr aufhaltbaren Sterbeprozess befinden und aus diesem Grund ärztliche Maßnahmen zur Reduzierung von Schmerzen und Qualen in den Mittelpunkt rücken. Auch der Bericht der parlamentarischen Enquete-Kommission, 491 BlgNR 25. GP, betont die Bedeutung der Palliativversorgung (siehe insbesondere die Empfehlungen 23 und 50).

Details zur neugestalteten Norm

Mit der neuen Regelung des § 49a soll in Anlehnung an die (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä 1997) eine Beistandspflicht der Ärztin/des Arztes für Sterbende normiert werden.

Die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung besagen, dass die Ärztin/der Arzt verpflichtet ist, Sterbenden, das heißt Kranken oder Verletzten mit irreversiblem Versagen einer oder mehrerer vitaler Funktionen, bei denen der Eintritt des Todes in kurzer Zeit zu erwarten ist, so zu helfen, dass sie menschenwürdig sterben können. Die Hilfe besteht in palliativmedizinischer Versorgung und damit auch in Beistand und Sorge für die Basisbetreuung. Dazu gehören nicht immer Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr, da sie für Sterbende eine schwere Belastung darstellen können. Jedoch müssen Hunger und Durst als subjektive Empfindungen gestillt werden. Maßnahmen, die den Todeseintritt nur verzögern, sollen unterlassen oder beendet werden. Bei Sterbenden kann die Linderung des Leidens so im Vordergrund stehen, dass eine möglicherweise dadurch bedingte unvermeidbare Lebensverkürzung hingenommen werden darf.

So regelt § 49a Abs. 1, dass die Ärztin/der Arzt Sterbenden, die von ihr/ihm in Behandlung übernommen wurden, unter Wahrung ihrer Würde beizustehen hat.

Für diesbezügliche Behandlungsverträge gelten die allgemeinen Rahmenbedingungen.

Bereits § 49 Abs. 1 ÄrzteG 1998 verpflichtet die Ärztin/den Arzt unter anderem dazu, jeden von ihr/ihm in ärztliche Beratung oder Behandlung übernommenen Gesunden und Kranken ohne Unterschied der Person gewissenhaft zu betreuen [……] und nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung sowie unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften und der fachspezifischen Qualitätsstandards [……] das Wohl der Kranken [……] zu wahren.

§ 49a Abs. 2 sieht im Kontext der ärztlichen Beistandspflicht gemäß Abs. 1 und zugleich der Verpflichtung zur Wahrung des Patientenwohls gemäß § 49 Abs. 1 ÄrzteG 1998 eine ergänzende Präzisierung vor, wonach es bei Sterbenden insbesondere auch zulässig ist, im Rahmen qualitätsgesicherter palliativmedizinischer Indikationen Maßnahmen zu setzen, deren Nutzen zur Linderung schwerster Schmerzen und Qualen im Verhältnis zum Risiko überwiegt, dass dadurch eine Beschleunigung des Verlusts vitaler Lebensfunktionen bewirkt werden kann. Selbstredend ergibt sich durch den neuen § 49a keinerlei Änderung, dass Aktive Sterbehilfe mit den strafrechtlichen Tatbeständen (§§ 75 77 und 78 StGB) verboten bleibt. § 49 Abs. 1 ÄrzteG 1998, wonach die Berufsausübung unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften zu erfolgen hat, trägt dem Gebot der Einheit der Rechtsordnung im Besonderen Rechnung.

Mit dem in § 49a Abs. 2 verwendete Begriff „Qualen” sind Leiden oder Angstzustände gemeint, die wegen ihrer beträchtlichen Intensität oder weil sie einen gewissen Zeitraum andauern oder sich wiederholen, mit einer erheblichen Beeinträchtigung des psychischen oder physischen Wohlbefindens des Betroffenen verbunden sind (vgl. z. B. OGH 16.06.2016, 12 Os 40/16y).

Durch die Worte „Beschleunigung des Verlusts vitaler Lebensfunktionen” in § 49a Abs. 2 soll klargestellt sein, dass keinesfalls eine Rechtsgrundlage für Euthanasie geschaffen wird, es sich vielmehr um eine indizierte ärztliche Maßnahme bei einem laufenden Sterbeprozess handelt. Die Beurteilung schwerster Schmerzen und Qualen ist, da es um das Wohl der Patientin/des Patienten geht, immer im konkreten Einzelfall zu tätigen, es erfolgt somit keine Durchschnittsbetrachtung, sondern das Empfinden der konkreten Patientin/des konkreten Patienten ist ausschlaggebend.

Überdies ist auf die Bedeutung von Leitlinien und Empfehlungen zu verweisen, denen zwar formal nicht der Stellenwert einer rechtlichen Norm zukommt, die jedoch den Stand der medizinischen Wissenschaft wiedergeben und damit rechtlich von sehr erheblichem Wert sind (siehe z. B. die Leitlinie „Erstversorgung von Frühgeborenen an der Grenze der Lebensfähigkeit”, Monatsschrift Kinderheilkunde, Published online 16.8.2016; Leitlinie zur Palliativen Sedierungstherapie, Wiener Medizinische Wochenschrift (2017), 167:31-48; Stellungnahme der Bioethikkommission, 2011, Empfehlungen zur Terminologie medizinischer Entscheidungen am Lebensende; Stellungnahme der Bioethikkommission, 9.2.2015, Sterben in Würde, Empfehlungen zur Begleitung und Betreuung von Menschen am Lebensende und damit verbundene Fragestellungen; Europarat, Mai 2014, Leitfaden zum Prozess der Entscheidungsfindung zur medizinischen Behandlung am Lebensende).

Der Bedeutung der Schmerztherapie und Palliativmedizin Rechnung tragend, sollen diese auch in die Umschreibung des ärztlichen Berufsbildes (§ 2 Abs. 2 Z 6a) aufgenommen werden.

» Link zum Bundesgesetzblatt samt Materialien

Quelle:
Rechtsinformationssystem des Bundes (Link)