Freiheitsbeschränkungen im Rettungs- und Notarzteinsatz
Einsätze in der prähospitalen Rettungs- und Notfallmedizin gehen in der Regel mit der Einwilligung des Patienten einher. In Ausnahmefällen kann jedoch aufgrund des Gesundheitszustandes des zu Rettenden (z.B. Bewusstlosigkeit) eine Einwilligung nicht eingeholt werden. In diesen Fällen ist eine Behandlung und ein Transport in ein Weiterversorgungszentrum ohne den erklärten Patientenwillen möglich und in der Regel auch geboten, da ein Rückgriff auf die „Gefahr-im-Verzug-Regelungen“ des Zivil- bzw. Strafrechts (§§ 173/3, 283/3 ABGB; § 110/2 StGB) möglich ist.
Aufgrund der Stärkung des Selbstbestimmungsrechts haben einsichts- und urteilsfähige Patienten das Recht, eine angebotene Behandlung bzw. einen Rettungstransport abzulehnen. Dies auch dann, wenn die Entscheidung offensichtlich dem medizinischen Wissensstand widerspricht und unvernünftig erscheint.
Kopfzerbrechen bereiten den Sanitätern und Notärzten in der Praxis vorwiegend zwei Patientengruppen:
- Der psychiatrische Patient mit Gefährdungspotential,
- der aktuell nicht einsichts- und urteilsfähige Patient, der am Einsatzort trotz dringender Hilfsbedürftigkeit Rettungsmaßnahmen vehement ablehnt.
Die Frage, die sich hierbei stellt ist, ob in derartigen Situationen freiheitsbeschränkende Maßnahmen gegen den Willen des Patienten eingesetzt werden dürfen, um einerseits für Schutz zu sorgen und andererseits das objektive Patientenwohl zu sichern.
Hierfür ist die österreichische Rechtsordnung unter die Lupe zu nehmen. Dieser ist ein Grundrecht auf persönliche Freiheit immanent. Die einschlägige verfassungsgesetzliche Rechtsgrundlage ist das Bundesverfassungsgesetz vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit. Es besagt, dass jedermann ein Recht auf Freiheit als auch auf Sicherheit hat. Jede Art der Anhaltung oder Festnahme hat nach den Gründen dieses Bundesverfassungsgesetz zu erfolgen und bedarf einer gesetzlichen Grundlage.
Die möglichen Einschränkungen des Grundrechts auf persönliche Freiheit sind im Artikel 2 des o.a. Bundesverfassungsgesetzes abschließend festgelegt. Für das Gesundheitswesen ist die folgende Passage relevant: „wenn Grund zur Annahme besteht, dass er eine Gefahrenquelle für die Ausbreitung ansteckender Krankheiten sei oder wegen psychischer Erkrankung sich oder andere gefährde“.
Für den präklinischen Umgang mit akut in der Psyche beeinträchtigten Menschen, von denen Gefahren ausgehen, gibt das Unterbringungsgesetz (UbG) Regelungen vor. Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben bei Vorliegen der Unterbringungsvoraussetzungen nach § 3 UbG im Zusammenwirken mit im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Ärzten bzw. Polizeiärzten die Verbringung in eine psychiatrische Abteilung einer Krankenanstalt – unter Umständen auch gegen den Willen des Betroffenen und somit unter Setzung von Zwang – vorzunehmen. Gegebenenfalls ist der Rettungs- bzw. Notarztdienst beizuziehen.
Für den aktuell nicht einsichts- und urteilsfähigen Patienten, der trotz dringender Hilfsbedürftigkeit vehement Rettungsmaßnahmen ablehnt, ist auf den ersten Blick eine klare Rechtsgrundlage für Einsatzkräfte nicht auffindbar. Bei Durchsicht der gesamten Rechtsordnung, vor allem der Handlungspflichten aus dem Strafrecht (§§ 2, 80, 88, 99, 105, 110 StGB), wird offenkundig, dass die ultima-ratio-Überwindung eines angemessenen (körperlichen) Widerstands bei Autonomieverlust und drohender Lebens-/Gesundheitsgefahr möglich erscheint. Der ethische Anspruch, dass bei Einschränkungen der Autonomie die Fürsorge in den Vordergrund rückt, ist im Ergebnis auch rechtlich geboten.
Dennoch ist eine klare rechtliche Grundlage für diesen sensiblen Bereich einzufordern, zumal ohne gesetzlicher Vorgaben der Voraussetzungen für zulässige Freiheitsbeschränkungen im Rettungs- und Notarzteinsatz die Gefahr besteht, dass der Einsatz von Zwang nicht anhand dieser strengen Kriterien bemessen wird, sondern dies missbräuchlich geschieht und somit für den Patienten unter Umständen nachteilig. Ähnliche Diskussionen gab es vor Geltung des Heimaufenthaltsgesetzes im Bereich der Abgrenzung von Freiheit und Sicherheit bei Personen, die in Alten- und Pflegeheime, Behinderteneinrichtungen und nicht-psychiatrischen Abteilungen in Krankenanstalten betreut und behandelt wurden. Diese Lücke wurde 2005 durch das Heimaufenthaltsgesetz geschlossen!
Weiterer Literaturhinweis:
Halmich, Unterbringungsgesetz Praxiskommentar (2014)
=> Link
Fachtag Ethik, Wien (Link)