Keine Kriminalisierung der Palliativmedizin: ÖGERN publiziert Stellungnahme

17. Oktober 2015

Aufgrund der medialen Berichterstattung rund um eine mögliche Mordanklage gegenüber einem Salzburger Anästhesisten, welchem vorgeworfen wird, durch eine erhöhte Gabe von Morphin den Tod einer (Palliativ)Patientin verursacht zu haben, gibt die ÖGERN folgende Stellungnahme ab, ohne jedoch in das laufende Verfahren eingreifen zu wollen:

Der strafrechtliche Rahmen bei Behandlungsentscheidungen am Lebensende ist anhand von drei Fallgruppen zu veranschaulichen:

  1. Verbotenes aktives Ingangsetzen des Sterbeprozesses
  2. Erlaubtes „Sterben zulassen“
  3. Zulässigkeit einer – unter Umständen lebensverkürzenden – Therapiezieländerung zur Symptomlinderung im Rahmen einer Palliativbehandlung  

 

Ad 1: Verbotenes aktives Ingangsetzen des Sterbeprozesses

Der österreichischen Rechtsordnung ist das Prinzip eines umfassenden Lebensschutzes immanent. Es beinhaltet auch ein „Verbot zur aktiven Sterbehilfe“. Hierunter versteht man die aktive Beendigung des Lebens durch einen Dritten (zB gezielte Tötung durch Medikation), indem eine unnatürliche Todesursache gesetzt wird. Der Sterbevorgang wird also durch das Verhalten eines Dritten in Gang gesetzt. Die Strafverfolgungsbehörden gehen in derartig gelagerten Fällen von Mord im Sinne des § 75 Strafgesetzbuch (StGB) aus.

Des Weiteren ist im Strafgesetzbuch ein Verbot zur Tötung auf Verlangen (§ 77 StGB) sowie eine strafbare Mitwirkung am Selbstmord (§ 78 StGB) verankert. Mitwirkung am Selbstmord liegt vor, wenn jemand einen anderen dazu verleitet sich selbst zu töten oder ihm dazu Hilfe leistet; Tötung auf Verlangen, wenn jemand einen anderen auf dessen ernstliches und eindringliches Verlangen tötet.

 

Ad 2: Erlaubtes„Sterben zulassen“

Nach der österreichischen Rechtsordnung ist der Arzt nicht verpflichtet, in einen bereits natürlich begonnenen Sterbeprozess eines Patienten durch lebensverlängernde Maßnahmen einzugreifen, sofern der Verlauf der Krankheit eine weitere Behandlung nicht sinnvoll erscheinen lässt (fehlende medizinische Indikation). Durch dieses rechtlich und ethisch gebotene „Erlauben eines natürlichen Todes“ (englisch: „allow natural death – AND“) soll bei sterbenden Patienten verhindert werden, dass durch etwaige sinnlose medizinische Maßnahmen (Medikamente, chirurgische Eingriffe, Interventionen wie zB das Setzen von PEG-Sonden, die Verwendung von Geräten zur Organunterstützung bzw. zum Organersatz) das Leben des Patienten in einer aussichtslosen Situation verlängert und damit das Sterben hinausgezögert wird. Da es hier auf die medizinische Indikation ankommt, spielt der (ausdrückliche oder mutmaßliche) Patientenwille keine Rolle. Dieser wäre ein zusätzlicher Grund für eine medizinische Maßnahme. Weil als Ausdruck der Patientenautonomie niemand zu einer medizinischen Maßnahme gezwungen werden darf, ist der Tod als Folge einer vom Sterbewilligen abgelehnten Behandlung von vornherein außerhalb strafrechtlicher Verfolgung.

Der Nichtbeginn oder die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen bei fehlender medizinischer Indikation führt jedenfalls nicht zum Vorwurf einer unterlassenen Hilfeleistung/Lebensrettung. In der Praxis wird einem sukzessiven Therapierückzug bei schrittweiser symptomorientierter Steigerung der Palliativmedikation anstelle eines abrupten Therapieabbruchs der Vorrang eingeräumt.

 

Ad 3: Zulässigkeit einer – unter Umständen lebensverkürzenden – Therapiezieländerung zur Symptomlinderung im Rahmen einer Palliativbehandlung

Bei Aussichtslosigkeit einer kurativen Behandlung kommt es in der Regel zum Therapiezielwechsel, sodass fortan die Verbesserung der Lebensqualität des Patienten im Rahmen einer umfassenden Palliativbetreuung im Fokus steht (sog. Comforttherapie; CTC = Comfort Terminal Care). Im Zuge dessen wird das Sterben als ein Prozess wahrgenommen, den es zwar nicht zu beschleunigen, aber auch nicht zu behindern bzw. zu verzögern gilt. Sämtliche Symptome, die einer optimalen Lebensqualität entgegenstehen (zB Schmerzen, Atemnot, Übelkeit, Angst), gilt es im Einvernehmen mit dem Patienten (ggf. unter Zustimmung eines autorisierten Vertreters) zu lindern.

Eine optimale Palliativbehandlung kann nach heutigem Wissensstand bei akzeptabler Lebensqualität durch eine Optimierung der Atemsituation, der Beherrschung von Angst, Übelkeit und Schmerzen sogar lebensverlängernd wirken. Ist es jedoch aufgrund stark ausgeprägter Symptome am Lebensende (Schmerzen, Atemnot, Angst/Stress, Übelkeit) im Einzelfall nötig, durch eine erhöhte Dosierung der palliativen Medikation eine Verbesserung der Symptomatik zu erreichen, so ist eine unter Umständen dadurch verursachte Verkürzung der Lebenszeit aufgrund des Patientenrechts auf ein würdevolles Sterben strafrechtlich nicht relevant. Entscheidend ist, dass die Dosis der Medikation symptomorientiert hochtitriert wird und damit indiziert ist.

Um sich hier als behandelnder Arzt nicht der Gefahr eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen eines Tötungsdelikts aussetzen zu müssen, gilt eine strenge Orientierung an und die Einhaltung von entsprechenden fachlichen Standards. Wenn möglich, sollten Entscheidungen zur Therapiezieländerung stets im Team getroffen werden, wo sie einem breiteren Konsens unterliegen. Auf die besondere Bedeutung einer nachvollziehbaren schriftlichen Dokumentation sei in diesem Zusammenhang explizit hingewiesen!

Im Übrigen stellt die Österreichische Palliativgesellschaft (OPG) im Zusammenhang mit dem eingangs erwähnten Strafverfahren zwei wesentliche Aspekte klar:

  • Aus der Palliativmedizin weiß man, dass bei sachgerechter Anwendung Opioide keinesfalls das Leben verkürzen. Sie bringen Schmerzen zum Abklingen, lindern Atemnot und können damit sogar lebensverlängernd wirken.
  • Es existieren in der wissenschaftlichen Literatur keine Belege dafür, dass die klinische Wirkung von therapeutisch verwendeten Opioiden mit absolut gemessenen „Blutspiegelmessungen“ korreliert und bewertet werden kann; ganz besonders nicht bei Patienten, die unter einer länger andauernden Therapie mit Schmerz-, und Beruhigungsmitteln stehen (zB Schmerzpflaster, Schlafmittel, angsthemmende Medikamente).

ÖGERN wird im Zuge seines 3. Symposiums am 4.11.2015 mit dem Generalthema „Notfallmedizin am Lebensende“ ausführlich zu rechtlichen/medizinischen/ethischen Aspekten bei Behandlungsentscheidungen am Lebensende Stellung beziehen. Darüber hinaus werden die Ergebnisse des Symposiums im 3. Tagungsband publiziert. Ein Erscheinen ist für Jänner 2016 geplant.

In Übereinstimmung mit anderen Fachgesellschaften (FASIM, ÖGARI, OPG) appellieren wir an alle palliativmedizinisch tätigen Ärzte, sich weiterhin im Sinne des bestehenden Fachstandards für unheilbar erkrankte Menschen einzusetzen, sodass in Österreich weiterhin ein Sterben in Würde (d.h. ohne Stress, Angst, Schmerzen und Atemnot sowie nicht alleine) möglich sein wird.

ÖGERN-Stellungnahme als PDF

 

Themenbezogene Stellungnahmen anderer Fachgesellschaften/Institutionen:

Stellungnahme der OPG als PDF

Stellungnahme der ÖGARI – ARGE Ethik als PDF

Link zu einem themenbezogenen Beitrag von DerStandard (11.11.2015)

 

Quellen/weiterführende Literatur:

  • Bioethikkommissionen beim Bundeskanzleramt, Empfehlungen zur Terminologie medizinischer Entscheidungen am Lebensende (2011).
  • Bioethikkommissionen beim Bundeskanzleramt, Sterben in Würde (2015).
  • Birklbauer, Strafrechtliche Haftung der Gesundheitsberufe, in Resch/Wallner (Hrsg), Handbuch Medizinrecht, 2. Auflage (2015) 341-400, Rz 85 ff.
  • Kerschner, Patientenrechte und Behandlungsbegrenzung, in Resch/Wallner (Hrsg), Handbuch Medizinrecht, 2. Auflage (2015) 147-199, Rz 97 ff.
  • Wallner J., Ethische Analyse und praktische Hilfestellungen zum Code-Status – „Do not resuscitate“- und „Allow-natural-death“-Verfügungen, in ÖGERN (Hrsg), Notfallmedizin: Eine interdisziplinäre Herausforderung (2013) 27-38.