OGH: Notarzt haftet trotz Herbeiführung eines behandlungsbedürftigen Zustands des Patienten alleinig
Auszüge aus der aktuellen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (OGH) vom 25.2.2016 zu GZ 9 Ob 76/15i:
Sachverhalt und Entscheidungen der Vorinstanzen:
Am 6. 9. 2010 verursachte H. B. einen Verkehrsunfall, als er auf der Autobahn mit einem Sattelzugfahrzeug trotz entsprechender Warnhinweise auf der rechten Spur blieb und gegen einen am rechten Fahrstreifen stehenden LKW der A***** prallte. H. B. wurde durch den Anprall im Führerhaus eingeklemmt und schwer verletzt. Bei der anschließenden notärztlichen Versorgung unterlief dem beklagten Notarzt ein Behandlungsfehler, wodurch H. B. verstarb.
Der klagende gesetzliche Unfallversicherungsträger begehrt vom Beklagten den Ersatz der von ihm an die Hinterbliebenen des H. B. geleisteten Zahlungen für deren Unterhaltsentgang und die Bestattungskosten in (unstrittiger) Höhe des Deckungsfonds von 36.520,94 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für sämtliche künftige Pflichtaufwendungen, welche er aufgrund des Todes des H. B. dessen Hinterbliebenen in Hinkunft zu erbringen haben werde, soweit hiefür ein in sachlicher und zeitlicher Hinsicht kongruenter Deckungsfonds gegeben sei.
Der Beklagte wandte – soweit für die Revisionsentscheidung wesentlich – dagegen ein, dass sich die Hinterbliebenen ein Mitverschulden des Unfalllenkers H. B. anrechnen lassen müssten. Erst ein gravierendes Eigenverschulden hätte H. B. in die äußerst komplizierte Behandlungssituation gebracht, im Zuge derer der Beklagte das Fehlverhalten gesetzt habe. Jedenfalls sei ein der Sphäre des Versicherten zuzurechnender Zufall anspruchsmindernd zu veranschlagen.
Das Erstgericht erkannte den Beklagten schuldig, der Klägerin 18.260,47 EUR sA zu bezahlen, stellte die Haftung des Beklagten für sämtliche künftige Pflichtaufwendungen der Klägerin an die Hinterbliebenen zur Hälfte fest und wies sowohl das Leistungsmehrbegehren von (weiteren) 18.260,47 EUR sA als auch das Feststellungsmehrbegehren ab. Aufgrund des Zurechnungszusammenhangs treffe nicht den behandelnden Beklagten alleine, sondern auch den Unfalllenker eine Haftung, weil dieser den eingetretenen Schaden primär verursacht habe. Ohne den grob fahrlässig von H. B. verursachten Verkehrsunfall wäre die weitere Fehlbehandlung durch den Beklagten unterblieben. Unter Berücksichtigung der jeweiligen vorwerfbaren Verhaltensweisen sei eine Haftungsteilung von 1:1 im Sinn des § 1304 ABGB angemessen. Die Hinterbliebenen müssten sich bei ihren gegenüber der Klägerin geltend gemachten und von dieser beglichenen Ansprüchen nach § 1327 ABGB das Mitverschulden des Verstorbenen anrechnen lassen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte das Urteil im Sinne einer gänzlichen Klagsstattgabe ab. Es entspreche ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre, dass das Mitverschulden des Getöteten den nach § 1327 ABGB Anspruchsberechtigten zuzurechnen sei und ihren Anspruch mindere. Den Patienten, der durch einen Behandlungsfehler zu Schaden komme, treffe die Obliegenheit, an den Heilungsbemühungen des Arztes mitzuwirken. Er habe alles ihm Zumutbare zu tun, um nach Eintritt eines behandlungsbedingten Schadensfalls den Schaden zu vermindern; verstoße er gegen diese Obliegenheit, so treffe ihn ein Mitverschulden. Ein – wie im vorliegenden Fall – mit der Herbeiführung des behandlungsbedürftigen Zustands begründetes Eigenverschulden des Versicherten sei aber nicht zu berücksichtigen. Der Schädiger, hier der Beklagte, habe nämlich gerade die Pflicht, den Schadenseintritt zu verhindern bzw den Schaden zu beseitigen.
In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision des Beklagten zurück-, in eventu abzuweisen.